Jovica Stevic in Wien – Wie ein Tag im März sein Leben veränderte (11. 4. 2012)

Am 11. April 2012 wurde vom Wiener Schwabenverein eine Veranstaltung im “Haus der Heimat” durchgeführt, in deren Rahmen das Buch von Jovica Stevic “Fußballklub Radnicki Sremska Mitrovica. 90 Jahre erfolgreiche Tätigkeit 1922-2012. Die deutsche Ansiedlung Hessendorf in Mitrovica 185 Jahre seit der Gründung, 1827-2012” präsentiert wurde. Susanne Paulus (geb. Geringer) vom “Club der Jungen Donauschwaben” hielt den Hauptvortrag, der hier in voller Länge dokumentiert wird:

Liebe Freunde! Auf den ersten Blick mag dieses Buch, dieser über 2000 Seiten umfassende “Wälzer”, den uns DI Jovica Stevic hier vorlegt, zumindest als überdimensional erscheinen. Ich höre euch schon sagen (bzw. denken): “Wer braucht denn so etwas? Das liest doch keiner!” – Da habt ihr vollkommen Recht: Das alles braucht ihr nicht zu lesen, nicht von der ersten bis zur letzten Seite. Dafür ist es nicht gedacht.

Dieses Buch ist als Nachschlagwerk konzipiert, und zwar auf der einen Seite offenkundig für Menschen, die sich für die Geschichte des Fußballklubs “Radnicki Sremska Mitrovica” interessieren. Im umfangreichen Sportteil des Buches wurde ausführlich und in unglaublicher Detailarbeit die Geschichte des Fußballklubs “Radnicki” (auf Deutsch “Arbeitersportverein”) seit seiner Gründung im Jahr 1922 durch den Deutschen Konrad Johann aufgezeichnet. Er ist somit einer der ältesten und traditionsreichsten Klubs in Mitrowitz, ja sogar in ganz Syrmien.

Die Mehrheit der Mitglieder dieses Fußballklubs bildeten bis 1944 Angehörige der deutschen Minderheit. Die hervorragende Organisation und Leitung des Klubs, sowie die charakteristische deutsche Spielweise sind legendär und sorgen bis zum heutigen Tag für klubinternen Gesprächsstoff. Schon der fußballbegeisterte Bub Jovica war davon fasziniert. Im Jahr 1939 waren im Team FC Radnicki von elf Spielern neun Deutsche und zwei Ungarn. Anhand des umfangreichen Bild- und Dokumentationsmaterials wird diese Institution, in welcher über die beachtlichen sportlichen Aktivitäten hinaus Jahrzehnte lang Gemeinschaft, Zusammengehörigkeit, Teamgeist, Freundschaft und Fairness praktiziert und gepflegt wurden, in dem vorliegenden Buch sehr plastisch dargestellt.

Jovica Stevic ist jedoch nicht eigens aus Sremska Mitrovica/Syrmisch Mitrowitz nach Wien angereist, um uns seinen Fußballklub vorzustellen. Indirekt jedoch ist es seine Begeisterung für den Fußball, die ihn hierher zu uns Donauschwaben und unseren Freunden geführt hat! Die Schilderung, wie es dazu gekommen ist, besticht immer wieder aufgrund ihres Symbolgehalts: Jovica Stevic hat die Geschichte der Donauschwaben buchstäblich “ausgegraben”! Er hat das sprichwörtliche “Gras, das darüber gewachsen war” sozusagen mit eigenen Händen weggeschaufelt und die Überreste des unbeschreiblichen Schicksals donauschwäbischer Männer, Frauen und Kinder ans Tageslicht befördert. Schockiert und fassungslos stand er vor den menschlichen Gebeinen, auf die er im Zuge der Erdarbeiten bei der Rasensanierung des Fußballplatzes gestoßen war. Dieser Märztag im Jahr 2000 veränderte sein Leben.

Zitat aus seinem Buch: ”[…] Jovica Stevic verspürte in sich, dass er keine Ruhe finden wird, bis er erfährt, wessen Knochen das sind und wie sie an diesen Platz gekommen sind. Nach vielen Tagen voll Arbeit und Bemühungen, Nachforschungen, Gesprächen mit Bewohnern und Suchen in Archiven erfuhr er die Wahrheit. Die Fabrik, deren Areal an den Fußballplatz FC “Radnicki” grenzt und die man einstmals “Svilara” (Seidenfabrik) nannte, sie war von 1945-1947 als Konzentrationslager eingerichtet für Deutsche, ehemalige Staatsbürger des Königreiches Jugoslawien.[…]” (S.146)

”[…] Jovica Stevic hat volle zehn Jahre sorgsam alle Dokumentationen, viele Aussagen von Überlebenden und Zeugen dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesammelt. Er befasste sich studienmäßig mit der Geschichte und mit der Kultur der Deutschen in diesen Gebieten, nahm Kontakt mit überlebenden Donauschwaben und ihren Nachkommen auf, vermittelte ihnen seine Erkenntnisse. Von ihnen wiederum gewann er neue Erkenntnisse, die ihn in seinen Nachforschungen weiter brachten. Er empfing und begleitete hunderte Donauschwaben, die aus der ganzen Welt zu ihm kamen, um ihre ehemalige Heimat zu besuchen und jene Orte wieder zu sehen, in denen sie geboren sind und in denen sie ihre Kindheit verbracht haben. Jovica teilte mit ihnen frohe Stunden, aber auch leidvolle Momente, Momente der Trauer in Erinnerung an Leiden und Vertreibung. Viele von ihnen wurden zu seinen persönlichen Freunden. Oft fuhr er nach Österreich und nach Deutschland, traf sich dort mit Donauschwaben in ihrer neuen Heimat und hat sie eingeladen nach Serbien zu kommen. Jene, die ihn etwas besser kennen, wissen, dass er unermüdlich ist und dass er alles zu erreichen versucht, was er sich selbst zur Aufgabe gestellt hat.[…]” (S.147)

Vielen Donauschwaben ist Jovica Stevic auch durch seine zahllosen E-Mails bekannt, in welchen er aktuelle Nachrichten, Informationen und Fotos fast täglich an hunderte Adressen in Serbien und in die ganze Welt aussendet. Jovica ist seine eigene Presseagentur!

Nebenbei sei bemerkt, dass Jovica auch einen “Brotberuf” ausübt (er ist Informatiker), eine Familie hat mit zwei hübschen Töchtern im Alter von sieben. und zwölf Jahren, und zum “Drüberstreuen” ist er Funktionär beim Fußballklub “Radnicki” … !

Jovica Stevic war auch der Mann vor Ort bei der Errichtung des Gedenkkreuzes für die 2000 Opfer des Lagers “Svilara/Seidenfabrik” in Syrmisch Mitrowitz, welches am 20. September 2008 am katholischen Friedhof feierlich eingeweiht wurde. Behördengänge, Presseinformationen, Überwachung der Arbeiten und die laufende Information über den Fortschritt der Arbeiten waren für ihn selbstverständlich. Wenn notwendig, legte er selbst Hand an. Jetzt kümmert sich Jovica um die Erhaltung des Denkmals. Vor wenigen Jahren hatte ich selbst die Gelegenheit, diese Gedenkstätte in Jovicas Begleitung zu besuchen und die Zeit dort still stehen zu lassen. Der quirlige Jovica war ganz still geworden, er hat mir all die Ruhe und Gedanken ermöglicht, die ich brauchte. Am Kreuz reichten wir einander die Hände. Wir brauchten keine Worte - keine serbischen, keine deutschen. Jovica hat mir den ganzen Tag geschenkt, hat mich zu den Spuren der Donauschwaben in Mitrowitz geführt. An diesen Tag werde ich mich immer erinnern.

Ich weiß, dass Jovica das Schicksal der kleinen Helga Isemann, die ihr dreijähriges Leben in der Seidenfabrik verloren hat, besonders nahe geht. Unter seiner Aufsicht und Hilfe wurde ihr kleines Grabmal unmittelbar neben dem Gedenkkreuz errichtet, stellvertretend für alle unschuldigen Kinder, deren unbeschwertes, hoffnungsvolles Dasein qualvoll, und ohne Antwort auf ihr kindliches “Warum?” geben zu können, ausgelöscht wurde.

All das und noch viel mehr, wie etwa die Entstehung der Siedlung Hesna (Hessendorf) im westlichen Teil von Mitrowitz und die Ansiedlung der Deutschen in Syrmien, ist in diesem Buch nachzulesen und anhand zahlreicher, größtenteils unveröffentlichter Fotos veranschaulicht. Die Liste, in welcher 980 Verstorbene im Lager “Svilara” von 1945-1947 namentlich mit Geburtsdatum, Todestag und Dorfnamen angeführt sind, spricht für sich.

Um die 300 Donauschwaben im In- und Ausland hat Jovica kontaktiert, stand mit ihnen im Briefwechsel und E-Mail-Verkehr, führte zahllose Gespräche und Telefonate mit ihnen. Unermüdlich durchforstete er Donauschwäbische Zeitungen und Zeitschriften, Handschriften, Fotografien, Bücher und Dokumente, immer auf der Suche nach der historischen Wahrheit, nach Fakten, nach Zusammenhängen. Er schaffte es aus eigenem Willen und Antrieb, die titoistische Zensurierung und Tabuisierung, die über das Schicksal der Donauschwaben verhängt worden war, zu durchbrechen, die vom offiziellen kommunistischen Jugoslawien postulierte Theorie der Kollektivschuld der Deutschen zu hinterfragen und mit bewundernswerter Zähigkeit und Hartnäckigkeit das schreckliche Geschehen rund um das berüchtigte Lager in der Seidenfabrik in Syrmisch Mitrowitz aufzuzeigen. Hiermit ist Jovica Stevic als einer der Pioniere bei der Aufarbeitung der Geschichte des ehemaligen Jugoslawien anzusehen, welche inzwischen immer mehr in Gang gekommen ist und im heutigen Serbien zu einem kritischen Dialog hinsichtlich des Zweiten Weltkrieges und seine Folgen für die deutsche Minderheit geführt hat.

An der österreichischen Regierung ist der große persönliche Einsatz des Serben DI Jovica Stevic für die serbisch-österreichisch-deutschen Beziehungen nicht unbemerkt vorüber gegangen. Darauf aufmerksam gemacht wurde Herr Außenminister Dr. Spindelegger durch den Vorsitzenden des Vereins der ehemaligen Rumaer in Österreich, dem heute hier anwesenden Herrn Ing. Josef Wagner. Der Herr Bundesminister prüfte daraufhin die Angelegenheit und schlug im Einvernehmen mit der österreichischen Bundesregierung dem Herrn Bundespräsidenten vor, Herrn Stevic das Silberne Verdienstzeichen der Republik Österreich zu verleihen. Mit Entschließung vom 8. Oktober 2009 wurde dieser Vorschlag angenommen, und am 22. Jänner 2010 wurde Herrn DI Jovica Stevic in der Österreichischen Botschaft in Belgrad diese hohe Auszeichnung vom Österreichischen Botschafter Dr. Clemens Koja überreicht. - Es ist dies ein bewusstes Zeichen der Anerkennung seiner Bemühungen um die geschichtliche Aufarbeitung der Verbrechen an der Zivilbevölkerung im ehemaligen Jugoslawien. Gleichzeitig ist es eine Geste der Versöhnung zwischen den Volksgruppen und den Ländern Serbien – Österreich.

Von Seiten der Donauschwäbischen Landsmannschaft in Oberösterreich wurde Jovica Stevic im Jänner 2011 in Wels mit der Vereinsmedaille ausgezeichnet, im Juni 2011 wurde ihm anlässlich des Heimatvertriebenentages in Marchtrenk von Obmann Ing. Anton Ellmer die Goldene Verdienstmedaille verliehen.

So verdient und angemessen es für Jovica auch ist, im Licht des Lobes, der Ehrung und der Anerkennung zu stehen, so haben seine bewundernswerten Initiativen im Interesse der Donauschwaben - der “Svabos”, wie sie abfällig genannt wurden und zum Teil immer noch genannt werden – auch seine Schattenseiten. Ob und welchen Unannehmlichkeiten Jovica und seine Familie in Serbien aufgrund seines Engagements für die Belange der Donauschwaben ausgesetzt sind, kann ich nicht beurteilen. Darüber spricht er nicht. Aber es gehört nicht viel Phantasie dazu, um davon auszugehen. Das möchte ich auch einmal betonen und uns allen hier ins Bewusstsein rufen: Wir sehen Jovica als “strahlenden Helden”, loben und ehren ihn für seine Aktivitäten, seinen Mut und sein Herzblut, mit welchem er unbeirrt, um nicht zu sagen mit einem “donauschwäbischen Sturschädel”, seine Ziele verfolgt. Er lässt uns in dem Glauben, dass er alles schafft und immer glücklich dabei ist. Ich glaube zu wissen, dass nicht immer alles so leicht ist, wie es für uns hier in Österreich und Deutschland den Anschein hat, dass er oft mit großen Schwierigkeiten und Einschränkungen, auch in seinem Privatleben, zu kämpfen hat, dass er oft bis an seine Grenzen geht, dass seine Frau, seine Kinder involviert sind und alles mittragen. Daher auch an dich, liebe Branka, ein tief empfundenes “Dankeschön!” für dein immer offenes Haus und deine Gastfreundschaft für die Donauschwaben aus aller Welt, die dein Mann gerne zu euch nach Hause einlädt, “Hvala lepo!” an euch Mädchen, Milica und Dunja!

Lieber Jovica, du weißt, dass du nicht mehr Einzelkämpfer auf serbischer Seite bist! Die Zeiten ändern sich, die Ära der starren Nationalisten und Kommunisten neigt sich dem Ende zu, es herrscht Aufbruchstimmung in deinem Land. Eine neue Generation ist am Ruder, die sowohl den unverschleierten Blick in die düstere Vergangenheit wie auch deren Aufarbeitung wagt – so, wie es von der ehemaligen Kriegsnation Deutschland wie auch von Österreich eingefordert worden ist und bis zum heutigen Tag und darüber hinaus gewissenhaftest zugestanden wird.

An dieser Stelle möchte ich die Stellungnahme der Serbischen Botschaft in Österreich wiedergeben, welche sie zu der für uns alle unverständlichen Beschädigung der Gedenkstätte in Gakovo vor wenigen Wochen den “Jungen Donauschwaben gegenüber abgegeben hat:

Zitat: “Hinsichtlich der Schändung der Gedenkstätte von Gakovo verurteilt die Botschaft der Republik Serbien, sowie auch deren Behörden, jegliche Art von Vandalismus. Serbien als Beitrittskandidat für die EU besteht auf der vollen Achtung von Menschen- und Minderheitenrechten, sowie der vollen Wahrheit über alle Ereignisse, die sich in der Vergangenheit zugetragen haben, einschließlich des 2. Weltkrieges.”
Diese Stellungnahme ist im Mitteilungsblatt vom April-Mai 2012 auf Seite 3 abgedruckt.

Die Verabschiedung des Restitutions- sowie des Rehabilitierungsgesetzes durch die Republik Serbien vor wenigen Wochen ist ein weiterer denkwürdiger Schritt auf dem Weg in eine gemeinsame europäische Zukunft, den Serbien, Österreich und Deutschland nun nicht mehr als ehemalige Kriegsgegner, Rächer und Ausgrenzer, sondern als gleichwertige Partner und Weggefährten beschreiten dürfen. Dazu muss jedoch nicht nur die “hohe” Politik, sondern auch jeder einzelne von uns, dem die ehemalige Heimat unserer Vorfahren am Herzen liegt, seinen Beitrag leisten. Jovica Stevic geht uns dabei mit großem Beispiel voran, wenn er in der Einleitung zu seinem Buch sagt:

“In diesem Buch möchte ich mich bei allen überlebenden Opfern des Lagers Svilara sowie bei allen Donauschwaben entschuldigen, die den Exodus, die Vertreibung, die Internierungslager, die Enteignung und sogar den Verlust der Staatsbürgerschaft von Seiten der Angehörigen der Partisanen und von anderen Angehörigen des kommunistischen Regimes in Tito-Jugoslawien überlebt haben.” (S.9)
Dem ist von meiner Seite nichts hinzuzufügen. Nur: Danke, Jovica!

2012-04-16