Rezension des Buches von Michael Portmann

Diese Rezension von Helmut Erwert über das Buch von Michael Portmann “Die kommunistische Revolution in der Vojvodina 1944-1952” erschien in den “Spiegelungen” (Heft 4, Jahrgang 2009) auf den Seiten 400-402. Bei den “Spiegelungen” (bis 2006 “Südostdeutsche Vierteljahresblätter”) handelt es sich um eine Kulturzeitschrift, die vom Verlag des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e.V. an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS) herausgegeben wird (bis 2002 Verlag des Südostdeutschen Kulturwerks). Mehr über dieses Institut unter www.ikgs.de

Michael Portmann: Die kommunistische Revolution in der Vojvodina 1944–1952.
Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur.

Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2008. (Zentraleuropa-Studien 13). 554 S. € 35,–.

Die umfangreiche Studie stellt die erweiterte Fassung einer in Wien angenommenen Dissertation dar, empfiehlt sich u. a. als eine zuweilen auf hoher Abstraktionsebene gehaltene, wortreiche Lektüre über ein Thema, das betroffenen Zeitopfern und interessierten Lesern zu enthüllen vermag, welche politischen Weichenstellungen im Jugoslawien der frühen Nachkriegszeit hinter den Kulissen durch die Leitungskader der “Volksbefreiungsarmee” in den Parteibüros, in den Regierungsgremien vollzogen wurden. Der Umfang ist dem Umstand geschuldet, dass die Provinz der Vojvodina für die tief greifende Umbruchszeit in ihren historisch unterschiedlichen Teilgebieten (Banat, Backa, Baranja, Syrmien) eingearbeitet, ihre Differenzierung nach ethnischen Gruppen/nationalen Minderheiten deutlich gemacht, die zentralen politischen Rahmenbedingungen der Zeit in den Gesamtzusammenhang des nach 1945 entstandenen Tito-Jugoslawien eingebetten werden sollte. Der Autor strebt nichts weniger an als eine ganzheitliche Aufarbeitung des kommunistischen Transformationsprozesses in der Vojvodina, zumal in der jugoslawisch-kommunistischen Geschichtsschreibung “die Thematisierung repressiver Aspekte im Hintergrund” blieb, im Klartext, viele Negativposten verschwiegen wurden, was man als Tendenzhistorie bezeichnen muss. In diesem Zusammenhang spendet der Autor dem serbischen Historiker Zoran Janjetovic großes Lob, da er “in erster Linie” den Themenkomplex Donauschwaben “in die seriöse Historiographie Serbiens eingeführt (hat), wobei er die spärlich vorhandenen bzw. zugänglichen Quellen verwertete.”

Auch Portmann hatte - nach eigenem Bekennen - seine liebe Not mit den jugoslawischen Quellen: “Die Forschungstätigkeit in serbischen und vojvodinischen Archiven … stellten meine Geduld und mein Durchhaltevermögen auf eine harte Probe.” (S. 36). Er hat sich großer Mühen unterzogen, in Archiven und Bibliotheken der Vojvodina, in Belgrad, Zagreb und Ljubljana zu forschen, doch Anfragen an Archive blieben unbeantwortet, besondere Genehmigungsschreiben wurden vonnöten, der Forscher fand häufig ungeordnetes Material und keine Registrierung vor, z. T. waren die Bestände lückenhaft. (Beispiele: Wenig Dokumente der kommunistischen Geheimpolizei waren einsehbar, es fehlten “im Archiv der Vojvodina (Novi Sad) sämtliche Aufzeichnungen der militärischen Abteilung … der Militärverwaltung für den Banat, … die Backa und die Baranja, die im Übrigen auch im Militärarchiv in Belgrad nicht katalogisiert sind. Daneben vermisste ich in Novi Sad den gesamten Bestand des Provinzinnenministeriums … . Wenn dann unglücklicherweise auch noch das einzige Kopiergerät ersatzlos ausfällt und die eigenhändige Digitalisierung nicht gestattet ist, kann von echter Vergangenheitsbewältigung schwerlich die Rede sein.” (S. 38) Zur kollektiven Enteignung der Jugoslawiendeutschen gar “sind keine Dokumente aufgetaucht, die den so weit reichenden Entscheidungsprozess dokumentieren” (S. 231). Immerhin handelte es sich um 668.412 Hektar Land – das waren mehr als die Hälfte des gesamten Bodenfonds der Vojvodina!
Als zeitliche Eckdaten für die Arbeit werden die Errichtung der Militärverwaltung Mitte Oktober 1944 und die offizielle Abkehr von der gescheiterten Kollektivierungspolitik im November 1952 genannt. Der Autor behandelt die Vorgeschichte der Vojvodina, die Okkupations- und Annexionspolitik von 1941-1944 mit Bezug auf diese Provinz, schildert in aller Ausführlichkeit die Zeit des Umbruchs 1944-1946, in den Kapiteln V bis IX die Organe und Etappen der Revolution, die Bevölkerungs- und Nationalitätenpolitik, die Landwirtschaft, die “Wiederbesiedelung” der Vojvodina und Wirtschaft und Kultur. Während die Hauptteile II und III zeitlich strukturiert allein auf die Vojvodina bezogen sind, widmen sich die übrigen den historischen Verhältnissen in Jugoslawien allgemein unter Berücksichtigung der Vojvodina. In mehreren Abschnitten kommt die Geschichte der donauschwäbischen Bevölkerung in dieser Region zur Sprache (Bestrafung und Vergeltung - Die Bodenreform – Die Umverteilung des Besitzes – Die Wiederbesiedlung der Vojvodina), im Kapitel VI nimmt sie die gute Hälfte des ganzen Abschnitts ein.

Die Studie lässt aufhorchen, da ihre Ergebnisse auf schwer zugängliche, zum Teil zum ersten Mal von einem Ausländer eingesehenen Quellen beruhen, in vielen Fällen freilich auch jugoslawische und deutsche, (auch donauschwäbische) Literatur einbezieht. Wahrheit und Tendenz, Objektivität und Subjektivität einer Darstellung ist nur mit “angemessener emotionaler Distanz” (S. 25) beizukommen, darüber lässt der wissenschaftliche Forscher keinen Zweifel, und erst im Vergleich der Aussagen kann man sich der historischen Wahrheit nähern (S. 26: ” … Situations- und Stimmungsberichte müssen kritisch gelesen und interpretiert werden. Darin können Probleme verschwiegen und schöngeredet werden, … Lageberichte sind zudem immer zeitlich und territorial eng begrenzte Blitzlichter, geprägt von der Subjektivität der Verfasser. … Die Wirklichkeit vor Ort kann sich … in einem totalitären Staat beträchtlich von Papierzeugnissen unterscheiden”). Umso erstaunlicher ist es, dass manche Behauptungen der Arbeit in so sensiblen Bereichen wie die Behandlung ethnischer Minderheiten ohne Beleg bleiben (Vgl. S. 87: ” … viele von ihnen (der Roma) wurden seit Herbst 1941 verhaftet, in Lager interniert und umgebracht”) oder sich nur auf eine einzige Textquelle stützen. Der umstrittene Tatbestand auf S. 85 (” … zahlreiche Donauschwaben haben die deutschen Truppen militärisch unterstützt, damit Landesverrat begangen”) wird auf eine einzige serbische Sekundärquelle aus der Zeit der beginnenden Balkankriege abgestützt. Für die folgenschwere Behauptung auf Seite 88, dass “die Hälfte aller Angehörigen der Waffen-SS aus dem Kreise Pancevo … sich freiwillig zum Dienste” gemeldet hätten, wird als Quelle die jugoslawische Bundeskommission für Kriegsverbrechen (DKUZOP) angeführt, die in den chaotischen Wirren der ersten drei Nachkriegsjahre Zeugenaussagen als Grundlage ihrer Erhebungen benutzte, was der Autor auf Seite 200 ff. zutreffend mit den Worten kommentiert: “… es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, welche Möglichkeiten damit für Menschen geschaffen wurden, die …die Gelegenheit bekamen, sich bei den neuen Behörden beliebt zu machen, … an den Kriegsverbrecherkommissionen haftet das Odium, … auch Instrumentarium einer auf Sieger- und Rachejustiz ausgerichteten Abrechnungspolitik gewesen zu sein.” Auch in anderen Passagen enthält sich der Autor keineswegs eines deutlichen quellengestützten Standpunktes, spricht Klartext, wenn er von den “Arbeits- und Hungerlager” der donauschwäbischen Bevölkerung redet, nennt Gakovo und Krusevlje “Todeslager”, gibt zu bedenken, dass bei der Ausnutzung der Arbeitskraft der Lagerinsassen “zehntausende unschuldige Menschen einzig ihrer ‚falschen’ Nationszugehörigkeit starben,” was ” … die Kommunisten trotz ihrer international gepolten Nationalitätenpolitik kaum gestört zu haben” scheint (S. 251). Die Institutionen zur Verwaltung des “Volksbesitzes” nennt er “undurchsichtig, ineffizient und widersprüchlich, “mit voller Absicht oder aus Unfähigkeit” sei “gar nicht oder nur punktuell Buch geführt” worden” (S. 396). Im Schlussplädoyer fällt er ein vernichtendes Urteil über alle “Anläufe zur angestrebten wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Aufholjagd seit dem 19. Jahrhundert in Richtung Zivilgesellschaft”, spricht vom Scheitern des kommunistischen Modernisierungsprozesses auf fast allen Ebenen, vermutet die Ursache für das Versagen der jugoslawischen Politik in der Kluft zwischen Staatsmacht und Gesellschaft, zwischen der politischen Elite und der einfachen Bevölkerung (S. 433 ff.).

Helmut Erwert

2010-02-01