16./17. Dezember 2011: Zwei Lesungen mit Dragi Bugarcic

Der serbische Schriftsteller Dragi Bugarcic weilte kurz vor Weihnachten für zwei Lesungen aus seinem Roman “Dreilaufergasse” (mehr hierzu im “Archiv Neuerscheinungen” unter Endlich auf Deutsch: Roman über die Verbrechen in der Dreilaufergasse”) in Deutschland. Am 16. Dezember 2011 war Dr. Thomas Stöhr, Bürgermeister der hessischen Stadt Bad Vilbel, für die Einladung verantwortlich.

Thomas Stöhr, Dragi Bugarcic, Stefan Barth
Altes Rathaus in Bad Vilbel (von links nach rechts): Bürgermeister Dr. Thomas Stöhr (stehend), der serbische Schriftsteller Dragi Bugarcic und DKS-Vize Stefan Barth

Hintergrund ist das Engagement der Firma STADA Arzneimittel AG aus Bad Vilbel in Werschetz (Vrsac), wo die serbische Hemofarm A. D. Vrsac als hundertprozentige STADA-Tochtergesellschaft übernommen wurde. Weil dadurch viele Arbeitsplätze gesichert werden konnten, wurde der Chef der STADA Arzneimittel AG zum Ehrenbürger der Stadt Werschetz (Banat) ernannt. Im Gegenzug wurde die Spitze der Werschetzer Stadtverwaltung nach Bad Vilbel – mit rund 30 000 Einwohner die größte Stadt im Wetteraukreis, der an Frankfurt grenzt - eingeladen. Daraus resultierte auch die Einladung für Dragi Bugarcic.

Dragi Bugarcic, Stefan Barth
Stefan Barth (rechts) moderiert die Lesung mit Dragi Bugarcic (links)

Weil der serbische Schriftsteller der deutschen Sprache nicht mächtig ist, übernahm Stefan Barth, Vize-Präsident der Donauschwäbischen Kulturstiftung, die Moderation im Saal des Standesamtes des Alten Rathauses “vor sehr neugierigen Gästen” (Barth). Auf Initiative von Stefan Barth fand einen Tag später noch eine Lesung in Erlangen statt.

Bezüglich der Veranstaltung in Bad Vilbel erschien am 5. Januar 2012 in der serbischen Tageszeitung Danas folgender Beitrag von Dragi Bugarcic (Übersetzung: Stefan Barth):

Die Stadt der schönen Quellen

In Gedanken bin ich immer noch in der Stadt, in die ich am 16. Dezember letzten Jahres reiste. An diesem Tag hat der Orkan “Joachim” in ihren Gassen, Märkten, in Parks und umliegenden Wäldern gewütet und getobt und den Menschen Angst gemacht. Zum Glück hatte sich der Wind beruhigt, als das Flugzeug auf dem Frankfurter Flughafen gelandet war. Bad Vilbel ist eine Stadt, schön und harmonisch, wie die Kleine Schachtel von Vaska Popa. Nur dass sie nicht auf den Quellen von Mineral- oder Heilwasser sprudelt, auf denen sie errichtet wurde. Ihr Spitzname ist “die Stadt der Quellen” oder “die Stadt der Bäder”, ähnlich anderen Bädern bei Frankfurt oder Bad Homburg, wo ein Literaturabend im Oktober 1979 stattfand. Im letzten Dezember, in Bad Vilbel, im Alten Rathaus, stellten wir mit Stefan Barth als Moderator, meinen Roman Sporedna ulica (Nebengasse), veröffentlicht in deutscher Sprache unter dem Titel Dreilaufergasse vor. Der Bürgermeister Dr. Thomas Stöhr, promovierter Jurist, unternehmungslustig und gastfreundlich, sagte einige Worte über seine Geburtstadt und eröffnete die Lesung für das Buch.

Später spazierten Thomas, Stefan und ich an diesem Abend durch die Geschichte von Bad Vilbel. Den Titel Bad bekam sie 1948, ich hoffe nicht an jenem Tag, als ich in Werschetz, das jünger ist als Bad Vilbel, geboren wurde. Wir überquerten das Flüsschen Nidda über zwei von dreizehn Brücken, so viele wie es auch über die Mesic in Werschetz gibt. Eines der gemeinsamen Nenner zweier Städte, die vielleicht bald zu Partnerstädten werden. Wir werden sehen. Über die Gegend denke ich mir schon eine Geschichte aus, keine Reportage. Alte Mühle (Stari mlin), in Wirklichkeit das Kulturzentrum, die Burgruine als Festspielort (eine Burgruine aus dem 12. Jahrhundert, auf der viele Festivals abgehalten werden), das Brunnenmuseum, das Museum der Fontainen, grob übersetzt, in dem sich ein altrömisches Mosaik befindet, das vor 2000 Jahren errichtet wurde, ein merkwürdiges Denkmal für den nachdenklichen aus Bronze gefertigten Friedrich Großholz, Gründer der Firma Bad Vilbel, der neben einem spitzen glatten Kegel, ähnlich einer Rakete, die in den Himmel oder in die Zukunft gerichtet ist, steht. Dann gingen wir Drei wieder am Markplatz vorbei. Wir verabschiedeten uns.

Als Kind habe ich, obwohl manchmal etwas verängstigt, die Märchen der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm gelesen, die vor mehr als zwei Jahrhunderten in der nahe gelegenen Stadt Hanau geboren wurden. Und nicht weit von Bad Vilbel verläuft der Weg der Brüder Grimm, der berühmten deutschen Linguisten und Märchensammler. Auf dem Weg von dem Fluss Main bis zur Nordsee liegen die Orte, deren Märchenszenen die Brüder Grimm aufschrieben (Rotkäppchen, das erste echte Märchen, das ich gehört und gelesen hatte und Hänsel und Gretel). Jakob schrieb das Vorwort für Vuk Karadzics gesammelte 1000 serbische Sprichwörter, die 1854 in deutscher Sprache erschienen sind. Ich werde jemand fragen müssen, ob es das erste serbische Buch war, das in deutscher Sprache veröffentlicht wurde.

Stefan erzählte mir am nächsten Tag in Erlangen, dass Bad Vilbel wegen der vielen Quellen, die von den alten Römern genutzt wurden, eine Stadt der Industriekultur sei. Inzwischen waren sie in Vergessenheit geraten, um später neu entdeckt zu werden. Schon 450 Jahre werden sie kommerziell zum Verkauf des Mineralwassers für Getränke und zur Heilung genutzt. In diesem modernen Märchen, in der großen Industriezone, wurde ein Museum für die Quellen errichtet, Quellen mit alten Maschinen für die Abfüllung von Flaschen und anderer Gefäße, denn diese magische Stadt ist die Hauptstadt oder Residenz der deutschen Mineralindustrie. Im Museum beginnt die Geschichte über das Wasser der Gesundheit.

Ich würde mich freuen, wenn in diesem Jahr, am 29. Juni zum 90sten Geburtstag von Vasko Popa, Stefan, Thomas und ich durch die schöne Stadt Werschetz spazieren könnten. Und ich sie zu einer Werschetzer Quelle führen könnte.

2012-01-07