Serbische Kommissionen zur Aufklärung von Kriegsverbrechen und ihr Scheitern

Das Parlament der Provinz Woiwodina gründete 2001 eine Enqueten-Kommission, die den Leidensweg der zivilen Bevölkerung in der Woiwodina von 1941 bis 1945, unabhängig von ihrer Nationalitätszugehörigkeit, untersuchen sollte. Die Kommission bestand aus 13 Mitarbeitern unter der Leitung von Prof. Dr. Dragoljub Živković und arbeitete mit weiteren Fachleuten aus Museen und Archiven zusammen. Viele Daten stammen aus privaten Archiven, die man verborgen hielt und für Untersuchungen zur Verfügung stellte. Am 10.10.2004 hat Prof. Živković dem Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Donauschwabenden Hans Supritz den Wunsch geäußert mit dem Institut in Tübingen zusammenzuarbeiten und diese Forschung finanziell zu unterstützen. Dazu wurde ein Vertrag formuliert. Auch bei der Beantragung von finanziellen Unterstützung bei der EU-Kommission sollten wir helfen. Wir waren bereit die Übersetzung des Abschlussberichtes ins Deutsche zu finanzieren und haben unsere Forschungsergebnisse aus dem Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien in vier Bänden, der von der Donauschwäbischen Kulturstiftung München herausgegeben wurde, zur Verfügung gestellt. Es gab auch eine kurze Zusammenarbeit mit dem Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm, mit Ungarn in Szegedin und Budapest und Fachleuten in Zagreb. Am 13. und 24. September 2004 fand im Provinzparlament in Novi Sad ein Symposium der parlamentarischen Wahrheitskommission statt auf der Hans Supritz zur Eröffnung das einführende Grußwort sprach. Anwesend waren auch Historiker. Man stellte die erzielten Ergebnisse der Kommission vor und diskutierte darüber.

Bei den Untersuchungen stellte sich heraus, dass in den Jahren von 1945 bis 1948 fast genauso viele Zivilisten umgekommen sind, wie in den Kriegsjahren von 1941 bis 1945. Sogar die Anzahl von 72 Lagern (Konzentrations- Internierungs- und Arbeitslager), war gleich. Leider bekam die Kommission nicht überall Zugang zu den Archiven. Hier griff man auf die Daten aus dem Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien zurück und übernahm die Opferzahlen aus den vier Bänden. Es war geplant nach dem Abschluss der Arbeiten die Ergebnisse nicht nur in serbischer Sprache, sondern auch in deutscher und ungarischer Sprache zu veröffentlichen.

Das Ergebnis der Kommission: Zahlenmäßig erlitten die Serben die größten Verluste, sowohl während des Krieges, als auch nach 1945 als »Tschetnik«, »Verräter«, »Fünfte Kolonne, »Reiche« , »unehrliche Intelligenz« und, weil man sie einfach als Gefahr ansah. Nach den Serben kommen zahlenmäßig die deutschen Opfer. Prozentual waren aber die Juden die größte Opfergruppe in der Woiwodina, man rechnet mit über 90%. Es wurde eine Gesamtzahl von 110.000 Opfer ermittelt, wobei die genau Aufteilung auf Bevölkerungsgruppen ausblieb, weil man die Arbeiten nicht abschließen konnte. 1945/1946 siedelte man soviel Kolonisten an, wieviel Deutsche vertrieben wurden. Die deutschen Häuser wurden nach einer von AVNOJ 1943 festgelegen Quote verteilt. In der Quote war vorgegeben welche Bevölkerungsgruppen aus welcher Republik und Nation die Häuser bewohnen sollten.

Mit dem Regierungswechsel und veränderten Mehrheiten im Provinzparlament, denen diese Untersuchungen missfielen, hat man die Arbeit der Enqueten-Kommission zwar nicht verboten, bewilligte aber für die Arbeit keine weiteren finanziellen Mittel mehr, gerade in der Zeit, wo die Untersuchungen für die Zeit von 1945 bis 1948 angelaufen waren. Man versuchte die Arbeit im Rahmen der Woiwodiner Akademie der Wissenschaft und Kunst fortzusetzen, aber auch hier gab es kaum finanzielle Mittel, so dass die Kommission als Abschlussbericht über die Opfer gerade noch ein Buch von 10 Exemplaren und eine CD, fertig stellen konnte, bevor sie ihre Arbeit ganz einstellte. Die Landsmannschaft der Donauschwaben, Bundesverband e.V. bekam aber einen Abschlussbericht in serbischer Sparche und eine CD mit den ermittelten Opfern, darunter auch die deutschen Opfer, mit Namen, Geburtsort und Sterbeort.

Bei der Auswertung des Abschlussberichtes stellte ich fest, dass es haupsächlich um die Ereignisse und die Zivilopfer während des Krieges zwischen 1941 bis 1945 ging. Ausführlich wurden die Volkszählungen von 1921 bis 1953 behandelt, aus denen Rückschlüsse über den Bevölkerungsschwund gezogen worden sind. Bei der Behandlung der zivilen Opfer bezog man die Informationen aus vielen Ortsberichten der Provinzkommission für die Feststellung der Verbrechen des Okkupators und ihrer Helfer in der Woiwodina (Pokrajinska komisija za utvrđivanje zločina okupatora i njihovih pomagača u Vojvodini) und darauf, wen diese Kommission zum Kriegsverbrecher verurteilt hat. In diesem Zeitraum sind die Opfer haupsächlich Serben und Juden und die Täter die Ustascha, die Ungarn und die Deutschen. Über die Untersuchungen zwischen 1945 bis 1948 hat man wenig geschrieben und verwendete, analysierte und kommentierte bei den Opferzahlen für die einzelnen Lager die Zahlen aus dem Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien. Dabei monierte der Historiker Zvonimir Golubović, dass man die umgekommenen deutschen Soldaten im Leidensweg auch zu den Opfern des Kommunismus und der Partisanen zählte. Tatsächlich wurden im Leidensweg aber nicht die im Kampf getöteten deutschen Soldaten als Opfer mitgezählt, sondern die in der Gefangenschaft umgebrachten Soldaten. Weiter monierte man, dass dieselben Namen an mehreren Stellen bzw. Lagern vorkommen. Das war aber im Leidensweg selten der Fall und wurde nachträglich immer korrigiert. Vielmehr ist diese Namensverwechslung bei den deutschen Namen in der serbischen Sprache besonders ausgeprägt, weil die Serben die Namen so schreiben, wie sie ausgesprochen werden. Das zeigt aber auch, dass die Kommission kaum Zugriff auf Daten aus Lagerarchiven für den Zeitraum zwischen 1945 und 1948 hatte, und sich mit den Daten aus dem Leidensweg zufrieden geben musste. Breiten Raum bei diesen Untersuchungen nahmen allgemeine Schilderungen über die serbischen Klöster, Kirchen und Friedhöfe in Syrmien ein. Die Zerstörung solcher serbischen Einrichtungen ging aber nicht von Deutschen aus, sondern von der Ustascha. Bei der Verfolgung von Schuldigen beschränkten sich die neuen Machthaber sehr schnell nur noch auf die Deutschen, da Ungarn nach dem Krieg ein sozialistischer Bruderstaat wurde und die Ungarn aus den Lagern entlassen und nicht mehr kollektiv verfolgt wurden. Das galt auch für das »Brudervolk« der Kroaten. Die kollektive Verfolgung der Deutschen in Jugoslawien blieb aber bestehen. Zusammenfassend kann man sagen: Es war ein guter Vorsatz die Untersuchungen der Verbrechen an der Zivilbevölkerung unabhängig von der Nationalität zu untersuchen, aber man ist dabei auf halben Wege zwischen 1941 bis 1945 steckengeblieben und hat dadurch letztlich einseitig untersucht und informiert. Denn der Leidensweg der Deutschen spielte sich erst richtig in der Zeit zwischen 1945 und 1948 ab.

Jahre später, 2009 wurde vom Ministerium der Justiz der Republik Serbien eine Kommission für die Entdeckung und Kennzeichnung aller geheimen Gräber in Serbien (Državna komisija za pronalaženje obeležavanje svih tajnih grobova u Srbiji) mit dem Ziel gegründet “die geheimen Gräber aller Personen, die nach dem 12. September 1944 erschossen wurden, zu finden, zu erforschen und zu kennzeichnen”. Nach dem Kriterium der Kommission fallen darunter auch die Opfer in den Lagern und die anhand von Gerichtsurteilen verschiedener Militärgerichte getöteten Zivilpersonen. Die Leitung der Kommission bekam Slobodan Marković. Der Sekretär der Kommission wurde der engagierte Historiker Srđan Cvetković. Er hat im Mai 2010 die Bürger, die irgendetwas über die getöteten Personen und die Lokalitäten der Gräber wissen, aufgefordert es der Kommission zu melden.

Der Verbandsvorsitzende Hans Supritz reagierte sofort und schrieb am 31.05.2010 einen Brief an den Sekretär der Kommission und bot die volle Unterstützung an: “Wir haben mit großer Aufmerksamkeit und Anerkennung registriert, dass die Serbische Regierung eine Kommission zur Aufdeckung und Kennzeichnung der “Geheimen Gräber” ins Leben gerufen hat. Wir haben daraufhin über Ihre Botschaft in Berlin, mit Einschaltung auch unserer Botschaft in Belgrad, unser Begehren bekannt gegeben, dass auch die im Herbst 1944 liquidierten jugoslawischen Staatsbürger deutscher Nationalität in die Nachforschungen der Kommission mit aufgenommen werden sollen”.

Es blieb aber nicht bei dem Brief sondern es wurde auch persönlicher Kontakt aufgenommen. Am 16. November 2010 statteten Hans Supritz und der Vizepräsident des Weltdachverbandes der Donauschwaben Josef Jerger dem Sekretär Srđan Cvetković einen Besuch ab und sie besprachen die möglichen Formen der Zusammenarbeit und die Standorte geheimer Gräber auf dem Gebiet der Woiwodina, insbesondere die der Donauschwaben.

Am 17. November 2010 besprach man im Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik der serbischen Regierung in Belgrad die Errichtung von Gedenkstätten in Serbien für die zivilen Opfer deutscher Nationalität, die in den von Partisanen errichteten Lagern umgekommen sind.

Im November 2009 bahnte sich auf Initiative des ungarischen Präsidenten László Sólyom und des Präsidenten Serbiens Boris Tadić, in dieser Frage eine Zusammenarbeit in der Ungarisch-Serbischen akademischen gemischten Kommission an. Die Forschungsarbeiten wurden in Archiven, Museen, Bibliotheken und mittels oral history in Serbien und Ungarn geführt. Diese Kommission sollte auch die Opfer der deutschen Volksgruppe erforschen, die in verschiedenen Lagern in der Wojwodina umgekommen sind.

Die Kommission kam sehr schnell zu guten Ergebnissen. Sie veröffentlichte im Internet einen Atlas in dem die verschiedenen Bezirke in Serbien abgesteckt wurden und man die gewünschten Bezirke und die Orte in diesen Bezirken anklicken kann, um so ortsbezogene Auskünfte über Namen und Herkunft der Opfer zu erfahren:

www.otvorenaknjiga.komisija1944.mpravde.gov.rs

Zwischen 1944 und 1946 wurden in Jugoslawien laut Schätzungen zwischen 60.000 und 80.000 Menschen ohne Gerichtsurteil erschossen. Die Zahl der Opfer scheint aber viel höher zu sein. Alleine in Serbien ist man bisher schon anhand der Untersuchungen der Kommission bei 42.000 Opfern angelangt, die Interessenten im Internet zugänglich sind.

Auf der Historikertagung in Bad Radkersburg vom 21. bis 23. März 2012 zum Thema “Verschwinden der deutschsprachigen Minderheit aus Jugoslawien” wurde berichtet, dass auch in Slowenien eine ähnliche Regierungskommission 1995 berufen wurde, die nach den Opfern des kommunistischen Terrors der Partisanen suchen soll und inzwischen 800 geheime Gräber entdeckt und registriert hat. Unmittelbar nach Kriegsende wurden auf Befehl Titos “100.000 Menschen erschossen, mit Hacken und Schaufeln erschlagen, in den Wäldern verscharrt oder in Gräben, Karsthöhlen und Bergwerksstollen geworfen”, wird berichtet Weiter heißt es: “Mehr als 14.000 Opfer waren Slowenen, an die 20.000 deutsche Soldaten und Angehörige der deutschen Minderheit. Zehntausende Kroaten waren darunter, aber auch Serben, Montenegriner, Italiener und Ungarn”. Die gezeigten Bilder von den in Slowenien entdeckten und freigelegten geheimen Gräbern waren erschütternd. Es herrschte während der Vorführung betretenes Schweigen im Saal. Die meisten Opfer wären vermeidbar gewesen, wenn das britische Militär in Österreich ihnen die Flucht erlaubt bzw. wenn sie die Flüchtenden nicht zurückgeschickt und an die Partisanen ausgeliefert hätte. Joze Dezman, der ehemalige Leiter der Regierungskommission in Slowenien, berichtete auf der Tagung, dass es in Jugoslawien schätzungsweise 1.500 Massengräber mit rund 250.000 Opfern gäbe.

In Serbien und Slowenien sind inzwischen andere Regierungsmehrheiten entstanden, die offensichtlich wenig Interesse an der weiteren Erforschung der geheimen Gräber haben. Die Arbeit der Kommissionen und der Historiker ist durch Behinderungen und finanzielle Kürzungen schwieriger geworden. Der entlassene Direktor des Museums in Laibach hat es so ausgedrückt: “Es fehlt der politische Wille, sich mit diesem Kapitel der slowenischen Geschichte zu beschäftigen”.

In Serbien hat gerade der Sekretär der Kommission Srđan Cvetković seinen Rücktritt erklärt. Er sagte: ” Die Kommission erfährt nicht genug gesellschaftliche, politische und staatliche Unterstützung, was auch daraus zu ersehen ist, dass sie keine finaziellen Mittel bewilligt, die für die weitere Arbeit notwendig sind”. Der Vorsitzende der Kommission Slobodan Marković meinte, dass man an den entdeckten geheimen Gräbern Gedenktafeln aufstellen müsste. Die Ergebnisse der Untersuchungen müssten zusammengetragen, nochmals überprüft und veröffentlich werden.

Im Allgemeinen muss man aber sagen, dass die Arbeit dieser Kommissionen notwendig war und für die relativ kurze Zeit ihres Bestehens gute Ergebnisse abgeliefert hat.

Warum dieser Wandel? Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer davon ist, dass man Personen unter Waffen nicht als Opfer darstellen wollte. Das Militär betrachtete die Zivilopfer als eine Art Begleitschaden. Prof. Živković sagte dazu: »Diejenigen, die getötet und liquidiert haben wurden oft gelobt, zu Helden erklärt, ausgezeichnet und beschenkt, aber die unschuldigen Opfer blieben ohne Ehrerbietung, wurden vergessen und als Kollateralschäden behandelt”. Nach dem Krieg haben sich die Kommunisten und Partisanen einen “Glorienschein” verliehen und sich als die wahren Kämpfer und Befreier des Faschismus und Nationalsozialismus gefeiert. Mythen in den Medien und Schulbüchern wurden verbreitet. Man propagierte einen Staat, der auf den Säulen der “Einheit und Brüderlichkeit” beruhte. Eigene Verbrechen wurden vertuscht, ihre Offenlegung strafrechtlich verfolgt oder anderen zugeschrieben. Die blutige Vergangenheit während und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im Vielvölkerstaat Jugoslawien nicht oder nur einseitig aufgearbeitet. Das rächte sich später. Es kam zum Bürgerkrieg. in dem sich der “Dampfkessel der angestauten Emotionen” entlud und zum Zerfall Jugoslawiens führte. Dann gab es Versuche von Intellektuellen diese Aufarbeitung der Vergangenheit nachzuholen. Der Zerfall Jugoslawiens bedeutete aber eine Zäsur im Leben der Bevölkerung. Die Hoffnung auf ein besseres Leben in einem freien, marktwirtschaftlichen System hat viele enttäuscht. Vielen Menschen ging es wirtschaftlich schlechter als vorher, während Neureiche, unterstützt von korrupten Politikern, immer reicher wurden. Das führte unweigerlich zur Nostalgie nach einem System, das man als überwunden glaubte. Die Kommunisten, die zwar ihren Namen aber nicht ihre Gesinnung inzwischen geändert haben, versuchen nun die Vertuschung und das Verschweigen der Verbrechen fortzusetzen. Wir können nur hoffen, dass ihnen das nicht gelingen wird.

Stefan Barth

2013-04-19