Mai/Juni 2013: Unterwegs mit serbischen Intellektuellen – Stefan Barth im TV-Interview

Das Buch Dialog an der Donau, Gespräche zwischen einem Serben und einem Deutschen von den Autoren Stefan Barth und Nenad Stefanović (mehr über dieses Buch in unserem “Archiv Neuerscheinungen” unter: Stefan Barth / Nenad Stefanovic: Dialog an der Donau), das anlässlich der 300jährigen Besiedlung des Donauraumes durch deutsche Siedler erschienen ist, fand in der serbischen Presse großes Interesse. Schließlich hat sich das Tabu, über die größte nationale Minderheit im Königreich Jugoslawien, die Donauschwaben, zu reden, auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien am längsten erhalten. Es wurde ausführlich in den Tageszeitungen DANAS, POLITIKA, VRIJEME und in der Zeitschrift REPUBLIKA besprochen. Deshalb beschlossen wir – Nenad Stefanović und Stefan Barth (2. Vorsitzender der Donauschwäbischen Kulturstifung) - in den größeren Städten der Woiwodina Lesungen zu veranstalten. Diese fanden in Belgrad, Weißkirchen, Werschetz, Neusatz (Novi Sad), Groß Betschkerek (Zrenjanin), Pantschowa und Sombor innerhalb von zwei Wochen im Mai und Juni 2013 statt. Dabei legten wir allein in Serbien 1200 Kilometer zurück.

Nenad Stefanović und ich haben in dem Buch sensible Themen angesprochen, die zu historischen Missverständnissen zwischen beiden Völkern führten. Dazu gehören der Erste und Zweite Weltkrieg, der Holocaust in Serbien und die Rolle der serbischen Regierung, Kriegsverbrechen der Okkupanten, Kriegsverbrechen der Befreier, Vertreibung der Donauschwaben. Wir sprachen aber auch über die Menschen, die als Brückenbauer zwischen beiden Völkern dienten, den Freiheitskampf der Serben gegen die Türken unterstützten und in Europa bekannt machten, Kulturkontakte aufbauten und pflegten. Die Zeit des friedlichen Nebeneinanders war viel tiefgreifender und langanhaltender als man meinen würde. Wer weiß schon, dass Jacob Grimm und Wolfgang von Goethe serbisch sprechen konnten und warum? Das Nationalbewusstsein ist noch nicht sehr alt, hat aber in übersteigerter Form viel Unheil angerichtet. Wir versuchten zu erklären, dass es im Laufe der Geschichte durch Völkerwanderungen, durch Assimilation verschiedener Völker, die Serben und Deutschen schlechthin, wie es von Nationalisten angenommen wird, nicht gibt, sondern die Serben nur zu einem Teil slawischen und die Deutschen nur zum Teil germanischen Ursprungs sind. Schließlich zeigen wir im Buch auch Perspektiven auf, die die Völker näher bringen könnten.

Groß Betschkerek (Zrenjanin)
Lesung in Groß Betschkerek (Zrenjanin) mit Stefan Barth (2. von rechts) - Foto: Stefan Barth

Die erste Lesung fand am 17. Mai 2013 in Belgrad im Kulturzentrum “Parobrod” (Dampfschiff) ohne mich statt, weil ich gerade einen Tag vorher von einer USA-Chorreise zurückgekehrt war. Deshalb berichte ich das, was mir berichtet wurde. Es sprachen vor etwa 50 Besuchern Katarina Lazić, die Leiterin der Tribüne für Literaturprogramme, Zlatoje Martinov, Schriftsteller und Chefredakteur der Zeitschrift REPUBLIKA, der Historiker Dr. Zoran Janjetović, Mitautor Nenad Stefanović und die Lektorin Nadežda Radović. Im Publikum befanden sich auch einige bedeutende Persönlichkeiten aus dem politischen und kulturellen Leben: Die Schriftstellerin Mirjana Mitrović, der Rechtsanwalt der Familie von Zoran Đinđić: Rajko Danilović. Bekanntlich war Đinđić serbischer Ministerpräsident und Parteivorsitzender der Demokratischen Partei. Er wurde am 12. März 2003 ermordet. Weiter waren anwesend der Wortführer der Journalisten Milivoje Popović und der Assistent des Chefredakteurs der Tageszeitung DANAS. Die Ausführungen wurden aufmerksam verfolgt. Gegen Ende der Lesung gab es einige Kommentare in der Art wie “es haben nicht die Serben Deutschland überfallen, sondern Deutschland Serbien; das, was ihnen am Ende des Krieges widerfahren ist, ist nur die Folge davon”. Die Teilnehmer auf dem Podium reagierten gelassen und hörten sich diese Kommentare in Ruhe an. Ich hätte gefragt, ob ich sie 1941 mit 4 Jahren überfallen habe, oder mein Vater, der, wie viele andere Deutschen, beim serbischen Militär gedient hat, oder mein Großvater, der überhaupt kein Soldat war. Wir waren damals Bürger des Königreichs Jugoslawiens und nicht Deutschlands.

Es folgten am 30. Mai 2013 an einem Tag die Lesungen in Weißkirchen am Spätnachmittag und in Werschetz am Abend, die kurzfristig angekündigt worden waren. Deshalb lag die Besucherzahl nur bei etwa 15 Personen. Die Lesungen fanden in der jeweiligen Stadtbibliothek statt. In Werschetz haben wir, aus aktuellem Anlass der Errichtung eines Denkmals auf dem Schinderplatz für die serbischen und deutschen Opfer während und nach dem Zweiten Weltkrieg, den Teil aus dem Buch vorgelesen, der dem Befehl Titos “Werschetz von unliebsamen Personen durch die Krajinaer Brigade säubern zu lassen” und den danach liquidierten Opfern, die auf dem Schinderplatz verscharrt wurden, gewidmet war. Seit Jahren gibt es Streit mit dem Gemeinderat über die Errichtung einer Gedenkstätte. Nadežda Radović gebührt großer Dank, dass sie dieses Thema mit Gleichgesinnten immer wieder in die Presse und in den Rundfunk gebracht und mutig ihren Standpunkt klar vertreten und die Gemeindeverwaltung wegen der ablehnenden Haltung in scharfer Form kritisiert hat. Nachdem die Bibliothekarin in Werschetz derselben Mehrheitspartei ihren Posten zu verdanken hat, mühte sie sich nicht besonders, Teilnehmer für die Veranstaltung einzuladen.

Sombor
Der “Deutsche Verein St. Gerhard” in Sombor fördert die deutsche Sprache - Foto: Stefan Barth

In Neusatz (Novi Sad) hat die Woiwodiner Akademie für Wissenschaft und Kunst (VANU) die Lesung am Freitag, dem 31. Mai 2013 im Nebensaal des Provinz-Parlaments veranstaltet. Es begrüßte uns der Vorsitzende der VANU, Julian Tamaš, gleichzeitig Professor für Philologie an der Universität in Neusatz (Novi Sad) und Schriftsteller. Die zentralistische Regierung in Belgrad, so wie auch die Serbische Akademie für Wissenschaft und Kunst (SANU) erkennen VANU nicht an. Prof. Tamaš hat in einem Interview folgendes erklärt: “Den Status der Woiwodina soll man nicht von einer ungarischen oder serbischen Staatszugehörigkeit ableiten, sondern von der Tatsache, dass hier Menschen seit Jahrhunderten zusammen leben und dieselben zivilisatorischen Werte und das Schicksal teilen. Von Maria Theresia gibt es Grundbücher. Gerade diese Grundbücher konfrontieren uns mit der Tatsache, dass alle hiesigen Völker sesshaft sind, dass es keine Völker gibt, die mit mehr Rechten ausgestattet sind, als die anderen. Heute gibt es die fünfhunderttausend Deutschen in der Woiwodina nicht mehr, aber ohne ihren Beitrag könnten wir uns die Woiwodina schwer vorstellen. Genauso fehlen hunderttausend Ungarn. Die Zahlen schwankten im Laufe der Geschichte, es blieb aber der Geist der Woiwodina in der sich kein Volk über das andere erhoben hat. Heute ist das demografische Bild erheblich verändert, vor allem wegen der Vertreibung der Deutschen, der Kolonisierung nach dem Krieg und natürlich durch den Zustrom von Flüchtlingen 1995.”

Neben den Autoren saßen auf dem Podium noch Nadežda Radović und der serbische Historiker Dr. Zoran Janjetović. Anwesend war auch der Journalist, Enzyklopädist und Schriftsteller Tomislav Ketig, der uns von seinem historischen Roman Die langen Schatten der Morgendämmerung (mehr über dieses Buch in unserem “Archiv Neuerscheinungen” unter: Tomislav Ketig: Die langen Schatten der Morgendämmerung) bereits bekannt ist. Die ganze Veranstaltung begann harmonisch, wie wir es schon vorher mehrmals durchgeführt und erprobt hatten. Wir stellten das Buch vor, unter anderem das Kapitel Durchzug der Identitäten, in dem wir die Veränderung der Identität vieler Deutscher nach dem Krieg, in neuer Umgebung unter neuen politischen Verhältnissen dargestellt haben. Von dem deutschen Verein Donau meldete sich Gerhard Burbach und klagte in einem längeren Statement über die Schwierigkeiten, die die deutsche Minderheit nach dem Krieg in Jugoslawien hatte und noch immer in Serbien hat. Nach mehreren Wortmeldungen meldete sich ein Herr aus Katsch, der dermaßen über die Kommunisten und Partisanen schimpfte, dass sich ein alter Herr, der nachdenklich in vorderster Reihe saß und offensichtlich früher selbst Partisane war, provoziert fühlte und mit den Worten “er lasse sich nicht beleidigen”, den Saal verließ. Wir versuchten ihn zurückzuhalten, aber ohne Erfolg. Das war gar nicht in unserem Sinne. Wir wollten einen sachlichen Dialog führen, Argumente austauschen und miteinander statt gegeneinander reden. Es gab nach dem Krieg auch Partisanen, die, nachdem sie die Entwicklung des Landes kritisch verfolgt hatten, gesagt haben, “dafür hätten sie nicht gekämpft”. Es gab auch deutsche Partisanen, die mit der Einkerkerung und Vertreibung der Deutschen in Jugoslawien nicht einverstanden waren. Uns hätte es interessiert, was den Herrn, der den Saal verlassen hatte, zur Veranstaltung geführt hat. Nach der Lesung trafen sich die meisten Teilnehmer der Veranstaltung bei dem von VANU vorbereiteten Umtrunk, wo wir noch in Privatgesprächen unsere Absicht mit dem Buch erläutern und vertiefen konnten.

Am Samstag rief mich ein Schulfreund an und fragte, ob ich ins Sterija-Theater (benannt nach dem serbischen Schriftsteller Sterija Popovic, Gründer der serbischen Dramen) in Neusatz (Novi Sad) gehen möchte, es würde vom Theater-Ensemble aus Esseg (Osijek) ein Drama über die Donauschwaben gezeigt. Das machte mich neugierig. Nicht nur weil es sich um ein Thema über die Donauschwaben handelte, sondern auch, weil es ein kroatisches Ensemble war. Die politischen Beziehungen zwischen Serbien und Kroatien sind immer noch angespannt. Ich sagte zu.

Sombor
Schwarz-Rot-Gold im Hintergrund, gute Stimmung bei den Kindern - Deutsch-Unterricht in Sombor - Foto: Stefan Barth

Als wir uns dem Theater näherten, sah ich an einer Tür in großen Lettern stehen: Arbeitslager Krndija (Kerndia) und fragte meinen Schulfreund, was das bedeuten solle, denn diese Überschrift war mir bezüglich eines Konzentrationslagers bekannt. Er wusste es nicht. Die Tochter meines Schulfreundes besorgte uns die Karten über eine Freundin, die beim Theater als Dramaturgin arbeitete, denn die Vorstellung war ausverkauft. Sie muss ihr verraten haben, dass ich Deutscher bin. Als ich am Eingang des Theaters ankam, wartete das kroatische Fernsehen auf mich und fragte, ob ich ein Interview geben würde.

Die Fragen waren mehr allgemeiner Art, aber ich schilderte auch, dass ich im Lager Jarek war, wo 7.000 Lagerinsassen umkamen, darunter etwa 1.000 Kinder. Ich konnte auf unser aktuelles Buch verweisen, in dem wir auch die Frage der Identitätsveränderung der Menschen behandelt und durch Beispiele untermauert haben. Man fragte mich, ob ich bereit wäre, nach der Vorstellung nochmals ein Interview zu geben und ich sagte zu.

Die Theaterbesucher wurden gebeten sich zunächst außerhalb des Theaters verschiedene Szenen anzuschauen. Da war eine Szene singender Partisanen, dann eine Szene mit einem deutschen Soldaten, der das Lied Sag‘ mir wo die Blumen sind… sang. Weiter zeigte man Frauen in Sträflingskleidung, die Steine klopften. Offensichtlich handelte es sich um deportierte deutsche Frauen. Schließlich gingen wir durch die Tür mit der Überschrift Arbeitslager Kerndia in das Theater zurück. Im Theaterfoyer gab es weitere Szenen und eine Frau, die mit einer Videokamera die Zuschauer filmte und die Bilder auf eine Leinwand im Hintergrund der Bühne übertrug. Das Drama hieß UNTERSTADT und wurde nach dem gleichnamigen Roman des Schriftstellers Ivan Šojat-Kuči über eine Esseger Familie zu einem Drama gestaltet.

Kurz zum Inhalt: Katharina Pavković, von Beruf Restauratorin, hat von der Freundin der Familie, Josephine, einen Brief bekommen in dem ihr mitgeteilt wurde, dass ihre Mutter Maria schwer erkrankt sei. Sie fuhr nach achtzehn Jahren wieder nach Esseg, zu ihrer kranken Mutter, die aber inzwischen verstorben war. So beginnt Katharinas Reise durch die Vergangenheit ihrer Familie, bis zu der Wahrheit über ihre Herkunft; über ihre Verwandten, die ihr als Deutsche das eigene tragische Schicksal nach dem Zweiten Weltkrieg verheimlicht hatten. Katharina erfährt frustriert und von Alkohol und Zigaretten gezeichnet, in einer Nacht, was die Familie ihr, angeblich zu ihrem Wohl, das ganze Leben lang verschwiegen hatte: Vom Leben des Urgroßvaters, der vom Trauma des Ersten Weltkrieges heimgesucht wurde, der Glückspiel, Alkohol und Frauen verfiel und sich schließlich erhängte; die Geschichte von der Schwester ihrer Urgroßmutter, die das Unrecht der Angehörigen ihres Volkes nicht ertragen konnte und zu den Partisanen überlief, aber später von der Revolution enttäuscht wurde, gegen die Vertreibung der Deutschen protestierte und wegen Ungehorsams erschossen wurde. Die Geschichte von Adolf, Omas Bruder, der von der Idee des Nationalsozialismus begeistert war und die vielen Hinrichtungen zu rechtfertigen suchte. Katharina erfährt, dass ihr kleiner Bruder im Säuglingsalter gestorben war und die Eltern ihres Vaters auf dem Weg ins Lager Kerndia umgebracht wurden; über die Tochter Josephine und Oma Klara, die im Lager starben; sie erfährt von der Enteignung des Vermögens, von dem Verlust der Bürgerrechte, Tilgung der Identität, Kollektivschuld und versteht schließlich die Wahnvorstellungen ihrer Oma Klara, die vor dem Tode Tote durch die Wände gehen sah; die schmerzliche Kälte der Mutter Maria; die Zurückgezogenheit des Vaters Stefan und die Enge in Josephines Hütte, die von den neuen Machthabern aus dem Haus in den Schweinestall verbannt wurde. Für Katharina ist diese Wahrheit wie ein Befreiungsschlag. Sie wirft alles von sich, was sie, wie ein Mühlstein bedrückte: Sie erzählt von ihrem Leben, von der Abtreibung, die sie ihrem geliebten Menschen verheimlichte und von der Verzweiflung, die sie ihr Leben lang plagte. Sie erfährt, dass ihr Name Pavković, den sie die ganze Zeit trug, sie nur vor der Rache des Siegers schützen sollte und ihr richtiger, verheimlichter Name in Wahrheit Steiner war. Katharina Steiner. Ein Schicksal, das auch andere Deutsche als Heimkinder oder Adoptivkinder erlitten, die ihre Identität verloren.

Die Szenen der Gegenwart wurden auf der Bühne im Vordergrund gespielt, während die Szenen der Vergangenheit, wie der Einmarsch der Wehrmacht, der Kampf mit den Partisanen, der Einmarsch der Partisanen, die Vertreibung der Deutschen ins Konzentrationslager, im Hintergrund und auf der Leinwand gespielt und dargestellt wurden. Dabei leuchteten die Strahler die jeweils gespielte Szene heller und deutlicher aus.

Nach der Vorstellung wurde ich im Interview fürs kroatische Fernsehen gefragt, ob ich von der Vorstellung schockiert war. Ich verneinte es und sagte, dass meine Urgroßmutter im Zimmer mit achtzehn Personen neben mir, auf dem Strohlager auf dem Fußboden schlief und starb. Dass ich Menschen sah, die sich aus Verzweiflung erhängt oder im Ziehbrunnen ertränkt hatten und dass jeden Tag der Leichenwagen durch die Straße fuhr und die Toten einsammelte. Ich merkte schließlich noch an, dass man diese Theatervorstellung schon 40 Jahre früher hätte zeigen sollen.

In Groß Betschkerek (Zrenjanin) war der Saal im Historischen Archiv mit über 40 Besuchern voll besetzt. Das hatten wir Aleksandra Tomanić zu verdanken, die energisch darauf bestand auch in Betschkerek eine Lesung zu veranstalten und alles organisiert hatte. Nadežda Radović stellte Nenad Stefanović und mich vor. Danach gab jeder der Autoren eine kurze Einführung zum Buch. Es schloss sich eine rege Diskussion an, so wie wir es uns vom Veranstalter gewünscht hatten: Ein Dialog ohne scharfe oder gar beleidigende Angriffe. Anschließend wurden Bücher signiert. Wir wurden von der Direktorin des Archivs, Frau Boros (Borosch), in das Restaurant Ethnisches Häuschen zum Abendessen eingeladen. Die Kellner waren in Banater Tracht gekleidet: Weißes Hemd, gesticktes Leibchen und weiße, weit geschnittene Leinenhosen, wie sie die Mäher bei der Weizenernte trugen. Dazu hörte man aus den Lautsprechern leise Volksmusik, wie man sie in der Woiwodina spielte. Im Gespräch mit Frau Boros erfuhr ich, dass man in Betschkerek daran arbeitet, die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges zu registrieren und Schwierigkeiten hat alle Namen zu finden. Sie kannte die jahrelange, gewissenhafte und aufwendige Arbeit der Donauschwäbischen Kulturstiftung mit den vier Bänden Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien (mehr über diese 4000 Seiten umfassende Dokumentation unter unserem Menüpunkt “Publikationen”) nicht. Ich versprach ihr, die Bände zu besorgen, was ihr die Arbeit wesentlich erleichtern wird. Die Chorleiterin Jovanka Tomanić wünschte sich deutsche Lieder. Da ich selbst im Chor singe, versprach ich ihr Liedernoten mit Text zu besorgen und zuzusenden.

Am 6. Juni 2013 hielten wir eine Lesung in der Stadtbibliothek von Pantschowa ab. Wir waren vollzählig angereist: Nenad Stefanović, Dr. Zoran Janjetović, Nadežda Radović und ich. Hier hatten wir schon Routine und traten mit verteilten Rollen auf. Dr. Janjetović sprach über das Buch aus der Sicht des Historikers, quasi aus der Sicht eines neutralen Betrachters, was beim Publikum besonders gut ankam.

Nach Sombor am 7. Juni 2013 fuhren nur Frau Radović und ich, nachdem Nenad Stefanović verhindert war. Organisiert wurde die Veranstaltung von Tina Oparnica, Kulturmanagerin des Instituts für Auslandsbeziehungen e.V. und dem Vorsitzenden des deutschen Vereins Sankt Gerhard, Anton Beck. Die Lesung fand in der Karlo Bijelicki Bibliothek statt. Es war Zufall, dass mit unserer Lesung die deutschen Kulturtage begannen, die offiziell am 11. Juni 2013 eröffnet wurden. In der Lesung zeigte ich den Widerspruch in der Geschichte zweier Völker auf, die fast 300 Jahre friedlich zusammenlebten und nur kurze Zeitspannen im Ersten und Zweiten Weltkrieg miteinander stritten und diese kurze Periode auch heute noch die gegenseitigen Beziehungen belastet. Es ist ferner grotesk, dass zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Serbien die besten Handelsbeziehungen bestehen, die Lehrer für die deutsche Sprache an den serbischen Universitäten von Deutschland finanziert werden, aber Serbien noch immer kein deutsches Kulturzentrum hat, dafür aber ein amerikanisches, französisches, italienisches und spanisches.

Am nächsten Tag führte uns Anton Beck durch die Stadt. Sombor ist zurzeit die schönste Stadt, die ich in der Woiwodina besucht habe. Sie hat knapp 50.000 Einwohner, mit 30 verschiedenen ethnischen Gruppen und strahlt noch immer das Flair der Städte aus dem Habsburgerreich aus. Es gibt mehrere große Marktplätze mit vielen Grünanlagen, Blumenbeeten, altem Baumbestand und Bänken, die zum Verweilen einladen. Die Fassaden der historischen Gebäude sind einigermaßen erhalten und weisen noch auf den Glanz einer freien Stadt unter Maria Theresia hin: Das Alte Rathaus im neoklassischen Stil inmitten der Stadt und das Neue Rathaus im Gebäude der Verwaltung der ehemaligen Grafschaft (Gespanschaft) ist im Stil des Eklektizismus gebaut. Die Stadtbibliothek, die serbische Lesestube, das Stadtmuseum, untergebracht im Haus des Händlers Anton Fernbach. Die Lehrerbildungsanstalt Preparandia, im Neorenaissancestil gebaut, die eine besondere Rolle in der Ausbildung der slawischen Bevölkerung in der Zeit Österreich-Ungarns spielte. 1778 wurde ein Gymnasium eingerichtet, das älteste im heutigen Serbien. An verschiedenen Stellen der Stadt stehen noch die katholische Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit im Barockstil, die evangelische Kirche, die orthodoxen Kirchen des heiligen Georgius im Stil des Barock und Rokoko, des heiligen Johannes, ebenfalls im Stile des Barock und Rokoko gebaut und schließlich die katholische Kirche St. Stefan mit dem Kloster der Karmeliter. Das alles spricht vom einstigen friedlichen Nebeneinander der Serben, Deutschen, Ungarn und vieler weiterer ethnischer Gruppen, die in der Stadt leben. Der Fluss Mostonga und der Große Batschkaer Kanal säumen die Stadt und machen sie touristisch noch attraktiver.

Der Verein St. Gerhard ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Franz Wesinger, uns bereits durch den Kirchenbau und der Kirchensanierung bekannt, besorgte in Rosenheim ein gut erhaltenes, gebrauchtes Fertighaus. Die katholische Kirche in Sombor stellte für 99 Jahre ein brachliegendes Grundstück in der Nähe des katholischen Friedhofs zur Verfügung. Dort wurde das Fertighaus wieder aufgebaut und der Verein St. Gerhard 1999 mit dem Ziel gegründet die donauschwäbische Kultur und Identität zu erhalten und zu fördern. Mit inzwischen 700 Mitgliedern zählt der Verein zu den aktivsten, größten und vorbildlichsten in der Woiwodina. Im Haus sind mehrere Organisationen tätig: Die humanitäre Hilfe “Robert Lahr”, die Donauschwäbische Kulturstiftung des Landes Baden-Württemberg und das Institut für Auslandsbeziehungen e.V. Anton Beck hat uns durch das Haus geführt. Im Büro fiel mir sofort das gemalte Bild von Robert Lahr an der Wand auf, der als Wohltäter geschätzt wird. Dann besuchten wir den Deutschunterricht der Kinder (im Alter von 5 bis 8 Jahren), die von den Lehrerinnen Klara Litzinger und Piroska Kovač unterrichtet werden und die Klasse für Kinder von 9 bis 11 Jahren, die von der Lehrerin Jelena Milivojević unterrichtet werden. Die Deutschlehrerinnen bemühten sich, modernen Deutschunterricht zu praktizieren und das wurde von den Kindern durch viel Aufmerksamkeit und Freude am Unterricht belohnt. Die älteren Kinder benutzen Laptops im Unterricht. Die jüngeren malten gerade die Vorlage mit Obstbildern mit deutschem Text in richtiger Farbe aus. Ein Foto mit den lachenden Gesichtern der Kinder durfte ich auch machen. Das sind aber nicht die einzigen Aktivitäten des Vereins. Ein Schwerpunkt der Arbeit ist die Jugendarbeit, die mit Seminarangeboten, Deutschkursen, Freizeitangeboten, Schüleraustausch und Förderung von Stipendien ein breites Betätigungsfeld aufweist. Ich sah zu, als Jugendliche die Treppen, die auf einer Böschung zur Straße hinauf führten, um über eine Kanalbrücke gehen zu können, vom Unkraut säuberten. Auf meine Frage, “warum die Jugendlichen das machen”, antwortete Anton Beck: “Sonst macht es keiner und wir möchten mit gutem Beispiel vorangehen”. Das Somborer Fernsehen fand es immerhin wichtig genug, um darüber zu berichten.

Fazit: Die deutschen Vereine in Serbien müssten von Deutschland aus stärker betreut und unterstützt werden, indem man Kontakte knüpft, ihnen Literatur, Schulbücher (auch alte), Informationen zukommen lässt und Vorträge über aktuelle Fragen hält. Das geschieht bereits zum Teil über die Heimatortsgemeinschaften und über humanitäre Hilfe, wie wir am Beispiel Robert Lahr gesehen haben. Die meisten Deutschen in Serbien haben ihre Muttersprache entweder gar nicht gelernt oder vernachlässigt. Da wären Sprachkurse für Kinder und Erwachsene, als Ergänzung zum Deutschunterricht in der Schule oder in Abendkursen, sinnvoll. Je stärker aber Serbien in die EU strebt, umso größer wird das Interesse an der deutschen Sprache werden. Das ist die einzige Chance für die Zukunft, Nachwuchs für die deutschen Vereine zu gewinnen, um die Vereine zu erhalten.

Stefan Barth, 2. Vorsitzender der Donauschwäbischen Kulturstiftung

2013-06-21