Stefan Barth: Kritische Anmerkungen zur Restitution

Als der serbische Staat den Beschluss fasste, die unrechtsmäßig enteigneten Eigentümer zu entschädigen, erwartete ich, Serbien gehe nun guten Willens daran, seine Vergangenheit und die Jugoslawiens nach 1944 ohne Wenn und Aber, d. h. ohne Winkelzüge, aufzuarbeiten. Es gibt da viel aufzuarbeiten, denn die Bevölkerung war politisch gespalten in Anhänger und Sympathisanten der Kommunisten bzw. der konservativen Nationalisten. Nach 1944 wurden ja viel mehr Serben als Deutsche von den neuen kommunistischen Machthabern ohne jedes Gerichtsurteil enteignet, eingesperrt und liquidiert. Kein Wunder, dass erst kürzlich der Tschetnik-Führer und ehemalige General des Königreiches Jugoslawien Draža Mihajlović gerichtlich rehabilitiert wurde. Laut Gericht war das Gerichtsverfahren, in dem Mihajlović 1946 von kommunistischen Machthabern zu Tode verurteilt worden war, “aus politischen und ideologischen Gründen ungesetzlich”. Dieses Revisionsurteil spaltet von neuem die Nation. Ehemalige Partisanenkämpfer und ihre Nachkommen empfinden die Rehabilitation als eine Schande, denn Mihailović verfolgte nach Aufzeichnungen von Vladimir Dedijer (einem Autor und Vertrauten von Tito) “die Schaffung eines ethnisch reinen Groß-Jugoslawiens, mit integriertem Großserbien, in den Grenzen von Serbien, Montenegro, Bosnien, Herzegowina, Syrmien, Banat und Batschka”, “die Säuberung des Staatsgebietes von allen völkischen Minderheiten und nichtnationalen Elementen” und den Gewinn “gemeinsamer serbisch-montenegrinischer und serbisch-slowenischer Grenzen, wobei man den Sandžak von muslimischer und Bosnien von muslimischer und kroatischer Bevölkerung säubert”. Als Anhänger der Monarchie kämpfte Mihailović erbittert gegen die Kommunisten. Deshalb wurde er nach dem Zweiten Weltkrieg zum Tode verurteilt, am 17. Juli 1946 in Belgrad hingerichtet und an einem unbekannten Ort vergraben. Die Orthodoxe Kirche in Serbien hingegen verehrt den nun rehabilitierten Mihajlović, manche geistlichen Würdenträger fordern sogar seine Heiligsprechung als Märtyrer und forschen nach seinem Grab. Seine Vision von Großserbien erlebt indes in Serbien, erst recht seit dem Zerfall Jugoslawiens, eine erstaunliche Renaissance. Die Gruppen, die sich daran berauschen, zeichnen sich auch aus durch Homophobie, Antiziganismus, Islamophobie und die Hetze gegen Kroaten und Albaner; sie bezeichnen sich selbst als die wichtigsten Pfeiler der großserbischenIdeologie, die leider auch von der Orthodoxen Kirche in Serbien unterstützt wird. Diese Extremisten fordern ein Großserbisches Reich, zudem soll sich Serbien Russland annähern und vom bisherigen EU-Kurs abkehren. Dieser Nationalismus findet auch innerhalb der neuen Regierung offensive Unterstützer, die jede Kritik an den nationalen Mythen massiv ahnden; Mythen, die inzwischen zum staatlich verordneten Geschichtsbild aufgewertet worden sind.

In diesem politischen Klima konnte das, was sich anfangs bei der Restitutionsagenda gut anzulassen schien, nur in eine Sackgasse führen. Die neue Regierung aus der sog. Fortschrittspartei, hervorgegangen aus den ehemaligen Radikalen des Nationalisten und Chauvinisten Šešelj, und den Sozialisten, hervorgegangen aus der Partei von Milošević, will nämlich ganz offensichtlich dieses Problem nur kosmetisch lösen, d. h. dass sie die Anträge der Geschädigten zulässt und sie wohlwollend zu prüfen vorgibt, womit das ganze Verfahren den Anstrich eines Regierungsverhaltens nach den Normen der Rechtmäßigkeit und Gerechtigkeit bekommt und Serbien mit “sauberer Weste” das Projekt des EU-Beitritts und des Zugangs zu den ausgelobten Fördermitteln weiter verfolgen kann, solang es sich auszahlt .

Warum kann ich an den guten Willen der serbischen Politik in der Restitutionsfrage nicht glauben und halte das Angebot für reine Augenauswischerei?

Steht nicht schon in der Bibel: “An ihren Taten sollt ihr sie erkennen?”. Nun, ich untermauere diesen Verdacht mit Belegen zum Verhalten, mithin den Taten der Staatsanwälte und Richter in der Bearbeitung meines eigenen Restitutionsantrages. Ich fasse meine inzwischen gewonnenen Erfahrungen, vereinfacht und etwas salopp, aber dafür umso verständlicher, folgendermaßen zusammen: Die serbische Bürokratie sagte sich: Wir stellen uns mal ganz dumm und erschweren die Genehmigung der Rehabilitation, indem wir dem Antragsteller Hindernisse in den Weg legen. Er muss uns unwiderlegbare Beweise liefern zu folgenden Fragen: Gab es nach 1944 Konzentrationslager, Arbeitslager, Zwangsarbeit? Darüber wissen wir Serben doch nichts. Die Antragsteller sollen uns gefälligst hieb- und stichfest nachweisen, dass sie enteignet wurden, im Konzentrationslager, zur Zwangsarbeit in Arbeitslagern usw. waren und dort Angehörige verloren.

Man spekuliert also ganz ungeniert darauf, dass eine nicht rehabilitierte Person das Recht auf Restitution verwirkt. Natürlich haben die serbischen Dienststellen alle Belege und Beweise für Enteignungen und Internierungen, natürlich verfügt der Staat über alle Unterlagen, denn er hat alle Zwangsmaßnahmen selbst angeordnet und durchgeführt. Und er verspürt heute keinerlei juristische oder moralische Verpflichtung, den Antragstellern zu verraten, wo er die Beweisunterlagen aufbewahrt und man sie sich beschaffen kann. “Finden Sie Zeugen für ihre Behauptungen”, raten die findigen Bürokraten. “Über Zeugen? Ja, das wäre naheliegend”, stimmt der Antragsteller zu, “aber welche Zeugen leben noch 70 Jahre nach Kriegsende?” - “Das tut uns jetzt aber sehr leid, wenn Ihnen die alle schon weggestorben sind”, bedauert der beflissene Bürokrat, “schade.”

Exakt solche Erfahrungen habe ich gemacht beim Versuch, meinen Restitutionsantrag im Fall der Hinterlassenschaften meines Großvaters durchzubringen, des Hauptvererbenden unserer Familie, der an seinen Sohn und Enkel einiges zu vererben hatte. Bei dem Rehabilitationsverfahren stellte der Staatsanwalt angeblich fest, mein Großvater sei ein Kriegsverbrecher gewesen. Mitnichten, er war nie Soldat, gehörte nie einer verbotenen Organisation an, war vielmehr ein frommer Katholik, der seinen Glauben auch lebte.

Ihn erklärt der Staatsanwalt kurzerhand zum Kriegsverbrecher, ohne irgendwelche Beweise vorzulegen. Damit kann sie das ganze Vermögen einziehen - und nun sieht es, trotz oder gerade wegen der serbischen Restitutionsfarce, so aus, dass es für die Erben nichts mehr zurückzugewinnen gibt, weil sie halt – leider – “Wir bedauern!” – nicht beweisen können bzw. dürfen, was bei gutem Willen durchaus beweisbar wäre.

Welch ein perfides Verfahren, welch eine Schande für die, die es sich ausgedacht haben. Mit solchen Methoden will Serbien einen Zugang zur EU finden?

Die Staatsanwaltschaft in Novi Sad nahm zu meinem Antrag folgendermaßen Stellung:

An das Hohe Gericht in Novi Sad
Aufgrund des Artikels 14 des Gesetzes über die Rehabilitation ergeht: die Stellungnahme
Anlässlich des Antrages zur Rehabilitation des Verstorbenen (Name des Großvaters), der Verstorbenen (Name der Mutter), des Verstorbenen (Name des Vaters) und (Name des Antragstellers)

Ich bin der Auffassung, dass gemäß der Bestimmung des Artikels 7 des Gesetzes zur Rehabilitation die vorliegende Anfrage seitens der berechtigten Person, nachdem der Antragsteller (Name) einen Antrag zur eigenen Rehabilitation gestellt hat sowie auch zur Rehabilitation der Personen, dessen Nachkomme er ist, d.h. für seinen Großvater, Vater und Mutter, die vorliegende Anfrage nicht begründet ist, weil im konkreten Fall die Bedingungen weder für die gesetzliche noch für die gerichtliche Rehabilitation der genannten Personen erfüllt sind, da keine Beweise vorliegen noch beschafft wurden, dass die genannten Personen umgekommen, der Freiheit oder anderer Rechte bis zum Tage des Inkrafttretens des Gesetzes über die Rehabilitation beraubt wurden, bzw. keine Beweise gefunden wurden, dass die genannten Personen nach dem Zweiten Weltkrieg in Arbeitslagern oder zur Zwangsarbeit waren, wie in der vorliegenden Anfrage angeführt wurde. Ich vertrete jedenfalls den Standpunkt, auch wenn während des Verfahrens Beweise gefunden werden sollten, dass die genannten Personen keiner Rechte beraubt wurden, dass auf keinen Fall die Bedingungen für die Rehabilitation des verstorbenen (Name des Großvaters) gegeben sind, in Anbetracht der Tatsache, dass dieser von der Staatlichen Kommission für die Feststellung von Verbrechen des Okkupanten und seiner Helfer nach Artikel 2, Absatz 2, Punkt 2 des Rehabilitationsgesetzes zum Kriegsverbrecher erklärt wurde und er nach Artikel 2, Absatz 1 des Rehabilitationsgesetzes als solcher nicht rehabilitiert werden kann.

Vertreter des Staatsanwalts
(Name)

Dazu schrieb mir mein Anwalt folgendes:

“Es ist mir ein Verhandlungstermin vom Gericht genannt worden.
Das Wesentliche machen zwei Sachen aus:

Erstens – wir müssen beweisen, dass die vier genannten Personen ihrer Freiheit beraubt wurden, dass Ihr im Lager Jarek und in Novi Sad eingesperrt, zur Zwangsarbeit auf dem Staatsgut und im Kohlebergwerk gewesen seid.

Zweitens – wir müssen beweisen, dass der Großvater durch den Beschluss der Staatlichen Kommission für die Feststellung von Verbrechen des Okkupanten und seiner Helfer kein Kriegsverbrecher war, oder beweisen, dass es sich um eine andere Person, die als Kriegsverbrecher verurteilt wurde, handelt.

Für die erste und zweite Sache benötigen wir Beweise, und das können nur Zeugen sein, weil wir keine schriftlichen Beweise haben, weder in Hinsicht darauf, dass Ihr der Freiheit beraubt wurdet und im Lager und zur Zwangsarbeit gewesen seid, noch dass der Großvater nicht die genannte Person gewesen ist, die zum Kriegsverbrecher verurteilt wurde.

Ich habe beschlossen, zum Verhandlungstermin zu erscheinen. Ich werde dort dem Beschluss des Staatsanwalts widersprechen, das begründen und um Aufschub bitten, damit wir inzwischen Zeugen auffinden können.

Mein Plan sieht folgendermaßen aus: Falls du zufällig an geschriebene Spuren, Dokumente bezüglich dieser zwei Sachen kommen kannst, teile es mir mit. Ich hoffe, dass die Richter für den knappen Termin Verständnis zeigen, weil es sich um ausländische Staatsbürger handelt, denen es nicht möglich ist, in so kurzer Zeit sich vorzubereiten und vor Gericht zu erscheinen.”

Damit beginnen aber erst die Forderungen der Staatsanwaltschaft. Jetzt müssen noch Zeugenaussagen herbeigeschafft und vom Notar beglaubigt werden. Lässt man die Aussage von einem Mitarbeiter des Gemeindeamtes beglaubigen, muss man mit Schikanen rechnen. Der soll eigentlich nur die schriftliche Aussage mit der Unterschrift beglaubigen und darf diese nur verweigern, wenn die Aussage einen beleidigenden Charakter hat oder gegen die guten Sitten verstößt. Das war bei unseren Erklärungen nie der Fall. Trotzdem wurde dem Prof. Dr. J. die Beglaubigung verweigert, weil dem Beamten die Formulierung nicht gefiel. Der Professor schrieb unter anderem:

“Die ersten Nachbarn auf dem Salasch (Meierhof) waren Deutsche, nämlich die Familie Barth mit vielen Familienmitgliedern, mit denen mein Onkel freundschaftliche Beziehungen pflegte, weil sich beide Familien noch aus Futok kannten. Auf dem Salasch lernte ich auch Franz B. Senior kennen, der etwas älter war als mein Onkel. Während des Zweiten Weltkrieges versteckten sich bei den Dienstboten auf dem Salasch verwundete Partisanen. Mein Onkel brachte ihnen Medikamente. Eines Tages warnte Vetter Franz meinen Onkel, dass man diese Tatsachen kenne, aber er zeigte ihn nicht an.”

Nach dem Krieg, im Oktober 1945, hat mein Onkel, gegen ein Entgelt an den Staat, die Familie B. aus dem Lager geholt, damit sie auf dem Salasch arbeite, weil die Dienstleute zu den Partisanen gegangen waren. Als Kind fuhr ich gerne mit dem Sohn von Vetter Franz mit der Kutsche. Die Familie B. blieb beim Onkel bis Anfang 1947, danach kam sie wieder ins Lager.

Da ich diese Fakten kenne, finde ich es inakzeptabel, dass man Vetter Franz ein Kriegsverbrechen anlastet, denn wenn er sich dessen schuldig gemacht hätte, hätte er meinen Onkel anzeigen können, dass er auf seinem Salasch verwundete Partisanen heile, und mein Onkel wäre deshalb bestimmt liquidiert worden.

Die Bestätigung dieser Aussage wurde von dem Beamten abgelehnt. Prof. Dr. J. hat sie daraufhin von einem privaten Notar beglaubigen lassen.

In einem zweiten Fall wollte der Gemeindemitarbeiter einer anderen Gemeinde die Aussage meines Schulfreundes nur dann bestätigen, wenn er noch zwei Zeugen vorweisen könne, die seine Aussage bestätigen würden. Mein Freund schrieb in der Erklärung unter anderem:

“Stefan ist mein Freund aus der Volksschule. Er wohnte mit seinen Eltern und Großeltern bei uns im Dorf R. während der Zwangsarbeit im Kohlebergwerk Tresibaba Podvis, vom September 1947 bis September 1949. Sie wohnten in unserem Hof in einem Häuschen mit Zimmer und Küche. Meine Eltern kannten sie gut, weil sie uns während der Ernte und Weinlese halfen. Sie gewannen durch ihre Kenntnisse in der Landwirtschaft schnell an Ansehen im Dorf. Nachdem sie 1949 ihre Bürgerrechte zurückbekommen hatten, zogen sie in die Woiwodina. Stefan und ich sind bis heute Freunde geblieben.”

Mein Freund musste ebenfalls einen privaten Notar aufsuchen, um seine Aussage bestätigen zu lassen. Ich hatte mir zuvor einfach nicht vorstellen können, dass alle Antragsteller mit so einem bürokratischen Aufwand belastet werden. Ich nannte meinem Anwalt die Namen zweier mir bekannter Anwälte, die sich ebenfalls mit den Fragen der Rehabilitation von Deutschen befassten, und bat ihn, zu fragen, ob diese auch so einen Aufwand treiben müssten.

Er gab mir folgende Antwort:

“Ich hatte ein Treffen mit einem der genannten Anwälte. Er hat mir erklärt, dass er bisher keine Erklärungen von Zeugen brauchte, weil er noch nicht in der Phase des Gerichtsprozesses angelangt sei. Wir waren uns aber einig, dass die Erklärungen der Zeugen, bei Ermangelung anderer Beweise, wie z. B. Lagerlisten, gute Beweise sind. Ob es Lagerlisten in einer staatlichen Einrichtung gibt, weiß ich nicht. Wir waren uns einig, dass es in Deinem Falle viel besser ist, schriftliche Zeugenaussagen zu besorgen statt die Zeugen vor Gericht laden zu lassen, weil diese Leute alt und gebrechlich sind und in der Regel außerhalb Novi Sad bzw. im Ausland leben, was auch hohe Kosten verursachen würde. Ich werde vom Gericht verlangen, dass mir der Zugang zu dem Verzeichnis der Personen, die in den Lagern waren, bei der Agentur für Sicherheit und Information ermöglicht wird. In der Öffentlichkeit wird behauptet, die Agentur würde über solche Lagerlisten verfügen. Was den Großvater anbetrifft, so werde ich vom Gericht verlangen, mir die Dokumentation der Staatlichen Kommission (die übrigens ihre Arbeit bereits 1948 einstellte) zur Verfügung zu stellen. Die soll ja angeblich beweisen, der Großvater sei Kriegsverbrecher gewesen. Anschließend werdenwir alles gemeinsam besprechen.”

Auch nach dieser Nachricht kann ich nicht glauben, dass man die Antragsteller dermaßen an der Nase herumführt.

Mein Anwalt nahm den Gerichtstermin wahr und teilte mir das Ergebnis der Verhandlungen mit:

“Nachdem ich keine weiteren Beweise bei mir hatte außer jenen, die ich dem Antrag zur Rehabilitation bereits beigefügt hatte, und wegen der ablehnenden Haltung des Staatsanwalts hatte ich die Befürchtung, das Hohe Gericht würde eine Fristverlängerung ablehnen. Ich habe mich besonnen und aus meiner Hausbibliothek drei Bücher mitgenommen. Ich nahm folgende Bücher mit: ‘Woiwodina, Träume und Konflikte’, in dem dein Lebenslauf steht, das Buch ‘Dialog an der Donau, Gespräche zwischen einem Serben und einem Deutschen’, in dem du mit dem Journalisten Nenad Stefanović ausführlich über die Vertreibung der Deutschen berichtet hast, und schließlich das Buch ‘Ein Junge aus der Nachbarschaft’, das Buch mit deiner Lebensgeschichte. Ich zeigte ihnen, dass derjenige, der nach Beweisen und Tatsachen sucht, das auch schnell in einem Privathaus und nicht erst nach jahrelanger Recherche in Hunderten von Archiven finden könne.

Unter anderem zeigte ich auch die Fotografie deiner Familie auf Seite 128 in deinem Buch ‘Ein Junge aus der Nachbarschaft’, wo man auch deinen Großvater im Jahr 1950 sehen konnte, als ihr in Rumenka gewesen seid, nachdem man euch die Bürgerrechte zurückgegeben hatte. Auf dieser Fotografie konnte man sehen, dass dein Großvater nicht zum Kriegsverbrecher erklärt worden war. Wenn er das gewesen wäre, würde er sich nicht auf dem Foto seiner Familie befinden und hätte die Bürgerrechte nicht zurückbekommen.

Ich zeigte ihnen auf mehr als zehn Stellen, wo geschrieben stand, dass ihr im Konzentrationslager Jarek gewesen seid, danach in Novi Sad, dann in Kulpin und schließlich zur Zwangsarbeit im Kohlebergwerk Tresibaba Podvis bei Knjaževac. Ich hatte zu ihnen gesagt, dass ich diese Daten in meiner Hausbibliothek gefunden habe, weil ich danach suchte, und die Staatsanwälte hätten keine gefunden, weil sie eben nicht gesucht hätten. Danach musste die Richterin damit einverstanden sein, den Gerichtstermin zu verlängern, und sie gab mir eine Frist von einem Monat, um die Beweise zu beschaffen.”

Ich machte mich auf die Suche nach Zeugen. Die meisten Zeugen waren so alt wie ich, Jahrgang 1937, und älter. Falls die Richter eine Befragung der Zeugen vor dem Gericht fordern würden, könnte ich dieser Aufforderung gar nicht folgen, weil die meisten Zeugen bereits gebrechlich sind und teilweise im Ausland leben. Die Erklärungen der deutschen Zeugen müssten zunächst im Gemeindeamt in Deutschland beglaubigt, dann ins Serbische übersetzt und der Inhalt von einem serbischen Notar bestätigt werden. Nun hatte ich noch das Pech, in den Streik der Post zu geraten. Das verzögerte die Zustellung auch innerhalb Deutschlands, und die Post nach Serbien braucht in der Regel eine Woche. Trotzdem hoffe ich, die nötigen Beweise noch fristgerecht vorlegen zu können. Dann geht die Rehabilitationsgeschichte weiter – und die Berichterstattung darüber.

Man sieht allerdings anhand lediglich meines Falls inzwischen ganz klar, dass jeder Antragsteller bei der Rehabilitation zum Spielball der serbischen Staatsanwälte und Gerichte wird, wenn sie das nur beabsichtigen – und dass sie nur das wollen. Diesen von ihnen selbst verstärkten Verdacht sollten sie im Dienst der Zukunft Europas so schnell und gründlich, wie das nur möglich ist, ausräumen, denn nachdem die Bearbeitungsfristen für die Anträge kürzlich um Jahre hinausgeschoben worden sind, wird es immer unwahrscheinlicher, Zeugen zu finden. Auch die Zeitzeugen sterben inzwischen aus. Welch perfides Spiel treibt man da mit den Antragstellern!

Eine serbische Freundin in Belgrad hat mir inzwischen angeboten, im Jugoslawischen Archiv in Belgrad nach der Person zu suchen, die unter dem Namen meines Großvaters beschuldigt wurde, Kriegsverbrecher zu sein. Erfreulicherweise waren die Mitarbeiter des Archivs alles junge, gut ausgebildete und durchaus auskunftsbereite Historiker, die mit der Vergangenheit des Staates nicht vorbelastet waren. Sie sagten ihr, die Daten im Archiv seien mit Vorsicht zu genießen, weil sie oberflächlich recherchiert und gesammelt wurden. Es stellte sich heraus, dass die zum Kriegsverbrecher abgestempelte Person zwar denselben Namen hatte wie mein Großvater, auch der Name des Vaters des Großvaters dieser Person stimmte überein, aber das Geburtsjahr war 1924 und nicht 1887 und der Geburtsort war India statt Futok. Wie kann ein Staatsanwalt, der zu einer korrekten Recherche gesetzlich verpflichtet ist, nur annehmen, mein Großvater sei 1924 geboren? Diesem Alter nach hätte der Inkriminierte nicht einmal mein Vater sein können, geschweige denn mein Großvater! Der Mitarbeiter im Archiv hat uns einen Bericht zugeschickt, damit man es dem Gericht vorzeigen könne. Im Bericht steht:

“In Verbindung mit Ihrem Antrag vom 25. Juni 2015, in dem Sie für das Verfahren der Rehabilitation des verstorbenen Franz (Stefan) Barth bestimmte Daten aus diesem Archiv bekommen möchten, teilen wir Ihnen mit, dass wir in dem Archivmaterial der Staatlichen Kommission für die Feststellung von Verbrechen des Okkupanten und seiner Helfer – im Verzeichnis der erwähnten Kommission (Name mit dem Buchstaben B), keine Daten auf den Namen Franz (Stefan) Barth gefunden haben.”

Welches Spiel treibt die Staatsanwaltschaft bei dieser Rehabilitation? Wie konnte sie meinen Großvater zum Kriegsverbrecher erklären und sich auf die Staatliche Kommission berufen, obwohl er dort gar nicht im Verzeichnis geführt wird?

Inzwischen habe ich in der Tageszeitung DNEVNIK vom 29.06.2015 gelesen, dass Bürger, die bereits 2011 für das Unrecht, das ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg zugefügt wurde, gerichtlich rehabilitiert wurden, noch keine Entschädigung bekommen können, weil nicht alle Satzungen beschlossen wurden, ohne diese aber kann das Gesetz zur Restitution nicht angewandt werden. Ohne dieses Regelwerk für die Restitutions-Kommission fließt kein Geld. Das Justizministerium hatte es versäumt, die Zusammensetzung und die Geschäftsordnung der Kommission genau festzulegen.

Der serbische Premier Aleksandar Vučić hat 2014 anlässlich seines Besuches in Deutschland den Wunsch geäußert, von Deutschland und der EU zu lernen. Um mit Mitmenschen einen anständigen und gerechten Umgang zu pflegen, bedarf es weder Deutschlands noch der EU. Den fairen Umgang miteinander und die Achtung voreinander muss die Gesellschaft vermitteln, bereits in der Kinderstube. Ich fände es viel ehrlicher, wenn der serbische Staat erklären würde, dass er aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage sei, eine Restitution durchzuführen. Das würde man sogar verstehen. Aber die Antragsteller “für dumm zu verkaufen” ist unverzeihlich und wird sich in der Zukunft rächen, weil es den serbischen Staat unglaubwürdig macht.

2015-07-07